Die Deutsche Filmakademie trauert um Casting Director Simone Bär
Ihre Weggefährt:innen – Antje Schlag, Vicky Krieps, Florian Gallenberger, Margarethe von Trotta, Christian Petzold, Sherry Hormann, unsere Sektion Casting, Baran bo Odar und Jantje Friese, Hermine Huntgeburth, İlker Çatak, Edward Berger, Christian Friedel, Knut Elstermann und die Agent:innen im Verband der Agenturen (VdA) – finden an dieser Stelle Worte des Abschieds:
Antje Schlag
Das Casting eines Films gleicht einer Familienaufstellung und Simone Bär war die kongeniale Aufstellerin. Die 57-jährige Castingdirektorin Simone Bär ist am 16. Januar 2023 in Berlin verstorben.
Sie hat in ihrer langen, vielfältigen Casting-Biografie viele Schauspieler:innen und Regisseur:innen verbunden und uns dadurch sehr oft die Erkenntnis geschenkt, dass die perfekte Besetzung eines Filmes alles verändern kann. Simone Bär hat Casting zur Kunst erhoben, undurchdringbar für die meisten, geprägt von ihrem einzigartigen Gespür und ihrer Neugier auf Menschen, auf das Leben. Sie war eine der besten Menschenkennerinnen in diesem Metier, immer auf der Suche nach einem neuen Gesicht, einer neuen Inspiration, immer bereit, alles über Bord zu werfen für die perfekte Gruppe, für die perfekte Hauptrolle.
So werden wir bald die Spannung zwischen Bachmann und Frisch in „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ von Margarethe von Trotta spüren. Erleben, ob „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger mit einem umwerfenden, ganz neuen Ensemble oder „Tár“ von Todd Field bei den Academy Awards abräumt, wohin der neue Film von Christian Petzolds „Roter Himmel“ uns entführt oder wie „Sisi und ich“ von Frauke Finsterwalder uns fängt.
Simone Bär besetzte „Babylon Berlin“ für Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries, arbeitete immer wieder mit Christian Petzold, Matti Geschonneck, Florian Gallenberger, Robert Thalheim und Baran bo Odar, mit Sherry Hormann für „Nur eine Frau“ und natürlich mit einem Oscar prämiert „Das Leben der Anderen“ und nominiert „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck und Michael Hanekes „Das weiße Band“, der mehr als 40 nationale und internationale Filmpreise gewann.
Dazu war sie Expertin für großes internationales Arthouse-Kino unter anderem in der Zusammenarbeit mit Stephen Daldry („Der Vorleser“), Quentin Tarantino („Inglourious Basterds“), Steven Spielberg („War Horse“), Jonathan Glazer („The Zone of Interest“), François Ozon („Frantz“), Martin Zandvliet („Land of Mine“) oder Wes Anderson (“The Grand Budapest Hotel“).
Gleichzeitig hat sie mit großer Begeisterung junge Filmemacher:innen wie u.a Ilker Çatak, Barbara Ott oder Philip Koch bei ihren ersten Filmen begleitet, unbestechlich am Buch und der Zusammenarbeit mit den Künstler:innen interessiert.
Bezeichnend war vor allem die Langfristigkeit der Zusammenarbeiten, wiederkehrend und von absolutem Vertrauen geprägt. Auf die Frage, was denn Casting für sie sei, antwortete sie: „Glaubwürdigkeit, dass es stimmig ist, … für mich die Figuren greifbar sind, dass ich entführt werde, … sie mich verzaubern. Man kann es nicht verallgemeinern, man besetzt eine Komödie anders als ein Drama, aber die Schauspieler:innen müssen das Drehbuch so gut wie möglich transportieren.“
Und diese Schauspieler:innen hat sie gesucht und immer wieder kongenial gefunden, feinste Nuancen in der Besetzung der Netflix-Serie „Dark“ zu finden – bis in Dialektangleichungen der älteren und jüngeren Spieler:innen einer Rolle zu finden – war ihr eine Freude. Nina Hoss, Sandra Hüller, Paula Beer, Vicky Krieps, Peter Kurth, Christoph Waltz und viele, viele mehr, sind mit den gemeinsamen Arbeiten gewachsen.
Simone Bär hat es durch ihren genauen Blick und ihre hohe Kompetenz zu Weltruhm in ihrem Beruf gebracht. Sie hat Filme besetzt, denen durch ihr Wissen und Fühlen die bedeutendsten Preise verliehen wurden, darunter sind mehrfache Oscargewinner:innen und Nominierte, Preisträger:innen des Golden Globe, des Deutschen Filmpreises, des Europäischen Filmpreises und Grimme-Preisträger:innen.
Für diese herausragende Arbeit wurde Simone Bär auch selbst mehrfach geehrt, sie ist Trägerin des Deutschen Castingpreises und mehrfache Gewinnerin des Deutschen Schauspielpreises im Bereich Casting. Sie erhielt zahlreiche Ehrungen ihrer Kolleg:innen, wie beispielsweise den Angela Award auf dem Film Festival in Kilkenny.
Sie war Grimme-Preisträgerin, Mitglied der American Academy of Motion Picture Arts and Sciences sowie der Deutschen und der Europäischen Filmakademie.
Simone Bär wird uns allen nah bleiben, in den Begegnungen, an die wir uns erinnern, in den Filmen, an denen sie mitgearbeitet hat. Keine wird so sein wie sie.
Vicky Krieps
Simone war ein Mensch, der Menschen sieht.
Und Sie hat mich gesehen noch bevor ich wusste, dass es mich gibt. Sie war der Funke, der in mein Leben sprang und mich vom Ast geschubst hat. Ich werde Sie in jedem Nacht-Tag-Sturz oder Segelflug in mir tragen, in ewiger Dankbarkeit.
Florian Gallenberger
In großer Trauer müssen wir uns von Simone Bär verabschieden. Zweifellos war sie als Casterin in Deutschland einmalig. Ihr Blick blieb nie an der Oberfläche hängen, sondern schaute in die Tiefe. In die Tiefe der Figuren, in die Tiefe der Geschichten und vor allem in die Tiefe so vieler Schauspieler:innen, die sie mit den richtigen Rollen vermählte.
Simone hat immer die Möglichkeiten gesehen, wo andere auf die Probleme fixiert waren. Ihr waren die Chancen immer näher, als die Bedenken – deshalb konnte sie für so viele Menschen so vieles ermöglichen.
Aber Simone hat nicht nur herausragende Arbeit geleistet und uns alle dadurch bereichert. Wenn ich an Simone denke, fällt mir zuerst die Herzlichkeit ihrer Umarmung ein. Sie hat so viel Wärme ausgestrahlt und sie hat Halt gegeben. In einem Metier, in dem man so oft haltlos ist, war gerade das von unschätzbarem Wert.
Liebe Simone, ich habe mich mit meinen Filmen und als Mensch bei Dir immer aufgehoben und Zuhause gefühlt und dafür danke ich Dir von Herzen. Hab eine gute Reise!
Margarethe von Trotta
Manchmal, sehr selten, begegnet uns ein Mensch, von dem wir sogleich spüren: ich kenne ihn schon lange. Wir wissen kaum etwas voneinander, und wissen doch alles. Mit Simone ist es mir so ergangen. Dabei habe ich sie erst vor zwei Jahren kennengelernt. Sie war mir von allen Seiten, auch in Frankreich, empfohlen worden. Als ich die Liste der Filme ansah, an denen sie mitgearbeitet hatte, wurde ich unsicher, ob sie mich überhaupt akzeptieren würde… Und dann machte Alexandra die Tür auf, und Simone blickte mir entgegen: neugierig und ohne Vorbehalt….Das war der Beginn einer wunderbaren, einverständigen Zusammenarbeit, von der ich mir erhofft hatte, sie auch in Zukunft erleben zu dürfen.
Ich werde sie vermissen. Sehr vermissen.
Christian Petzold
Ich hatte immer das Gefühl, dass nicht nur ich selbst, sondern auch die Drehbücher sich nach Simone sehnten. Sie las, sie deckte auf, untersuchte – all die Gefühle, die Kränkungen, die Sehnsüchte, die die Figuren umtrieben. Simone besetzte nicht, sie dachte, sie empfand, sie fühlte mit. Etwas, das mir oft fehlte. Und das jetzt fehlen wird. Ich vermisse sie sehr. Ein wunderbarer Mensch. Es ist nicht zu fassen.
Sherry Hormann
Simone hat nicht nur uns Regisseur:innen Sicherheit gegeben, auch uns Menschen. Hatten wir manchmal schon den Kopf hängen lassen, hat sie weiter durchforstet, gesucht, wenn es sein musste das ganze Ensemble noch einmal auf den Kopf gestellt. Bis sie „es glaubte“.
Sie legte den Grundstein für unsere Filme.
Sie hat unseren Filmen ein unverkennbares Gesicht gegeben. Sie hat unsere Filme geprägt.
Sie hat eine viel zu unterbezahlte Arbeit geleistet.
Sie hat an beiden Enden gebrannt: für die Sache.
Sie war mit wenigen anderen eine Vorreiterin in Deutschland, und hat das Casting zu einem essentiellen Beruf erkoren.
Sie war Zuhörerin. Ihre Arbeit war eine Liebeserklärung an alle Schauspieler.
Und selbst die Wände in ihrem Büro, bedeckt mit Plakaten gefeierter, auch internationaler Filme, konnten uns vor und hinter der Kamera nicht einschüchtern. Weil jeder von uns gesehen, geachtet und für seine Vision unterstützt wurde.
Simone gab Mut. Und mit ihr Alexandra Montag.
Sie und Alexandra und Simones Sohn, Lennart Bär, gilt es heute und morgen und übermorgen und überübermorgen zu umarmen.
An Dorthe, Anja, Daniela, Deborah, Franziska, Heta, Iris, Jacqueline, Karen, Liza, Mai, Manolya, Marc, Maria, Marion, Nina, Patrick, Sabine, Silke, Stefany, Susanne, Suse, Ulrike, Uwe · unsere Sektion Casting
Simone – ein Mensch mit großem Herzen, wunderbarem Humor, bestechender Offenheit und Ehrlichkeit, liebevoller Beobachtungsgabe, großer Menschenkenntnis und -liebe und einem unfassbaren Talent für ihren Beruf. Die Nachricht von ihrem Tod erschüttert uns zutiefst und macht uns sehr traurig.
Simone ist eine Pionierin unseres Berufsstandes. Mit ihrer mutigen Handschrift ist sie wegweisend für Casting-Direktor:innen im In- und Ausland und hat das Berufsbild maßgeblich mitgeprägt und etabliert. Als Mentorin hat sie vielen den Weg geebnet. Als Kollegin war sie eben das: kollegial. Es ging ihr immer um den Menschen und das Miteinander. Die Liebe zu Filmen, Schauspieler:innen und Geschichten, die erzählt werden müssen, spürt man in ihren Besetzungen.
Wir vermissen dich, Simone. All das, was du uns mitgegeben hast, bleibt.
Unser tiefes Mitgefühl gilt Dir, Alexandra, der Familie und allen, die die Freude hatten, Simone zu begegnen.
Baran bo Odar und Jantje Friese
Liebe Simone,
falls Du dies irgendwie lesen kannst, wollen wir Dir nur sagen, wir werden Dich nie nie vergessen. Du warst nicht nur eine fantastische Kollegin, sondern vor allem ein wundervoller Mensch, der für immer in unseren Herzen bleiben wird.
Die „Dark“ Familie liebt Dich über alles.
Wir werden Dich nie vergessen, Simone.
Bo & Jantje
Hermine Huntgeburth
Liebe Simone, Du großes Herz, loyale Streiterin und Freundin, Visionärin voller Leidenschaft für Deine Filme und uns alle, die mit Dir arbeiten durften. Ich vermisse Dich, Deine Hermine
İlker Çatak
Simone und ich lernten uns 2018 über die Zusammenarbeit am „gesprochenen Wort“ kennen. Es war eine der wichtigsten Begegnungen in meinem Berufsleben. Ihr Blick auf die Welt und Figuren im Besonderen war stets warmherzig, klug, voller Liebe. Ich erinnere mich an die großartigen Gespräche, in denen wir zunächst gar nicht über Besetzung, sondern nur über das Drehbuch sprachen. Sie war eine wichtige inhaltliche Partnerin und ein Mensch mit klarer Haltung, von der ich lernen konnte. Ihr Tod ist ein großer Verlust für unsere ganze Branche.
Edward Berger
Simone war unbestechlich. Sie ließ sich von nichts und niemandem beeindrucken. Das gab ihr Kraft, das gab ihr Freiheit, das gab ihr wahre Unabhängigkeit. Sie hatte ein tiefes Gespür für Menschen und Filme. Das hat uns alle bei jeder Begegnung inspiriert. Ihr mutiges Herz wird uns für immer fehlen.
Christian Friedel
Liebe Simone,
Dein plötzlicher Tod trifft mich tief und macht mich sehr traurig. So viele Menschen hast Du entdecken, fördern, unterstützen können. Du hinterlässt eine so tiefe Lücke, nicht nur in der Branche. Das ich meinen Weg in der Filmwelt künstlerisch so gehen konnte, verdanke ich vor allem Alexandra und Dir. Damals habt ihr „Das weisse Band“ gecastet und mich eingeladen, weil ich noch kein richtiges Demoband hatte. Euer Glückstee hat mich nicht nur gestärkt, sondern auch wirklich Glück gebracht. Zuletzt für das außerordentliche Projekt von Jonathan Glazer: „The Zone of Interest“, mit der außerordentlichen Sandra Hüller, die Du ebenfalls entdeckt hast.
Ich danke Dir von ganzem Herzen und möchte mein Beileid aus tiefstem Herzen an Alexandra aussprechen, Deiner Familie und Deinen Freunden.
Wir werden Dich vermissen. Sehr!
Dein Christian
Knut Elstermann
Bin tief erschüttert, traurig und fassungslos wegen des Todes von Simone Bär, eine der besten Casterin der Welt. Ich bewunderte ihre große Persönlichkeit, ihre Klugheit, ihre Sicherheit, ihre Diskretion, ihre Professionalität. Was ich über Casting weiß, verdanke ich ihr. „Casting ist wie eine Familienaufstellung“, sagte sie mir mal. Und genauso übte sie diesen Beruf aus, einfühlsam, fantasievoll, nie routiniert, oft überraschend. Was für ein Verlust, künstlerisch und menschlich.
Die Agent:innen im Verband der Agenturen (VdA)
Simone Bär hinterlässt eine nicht füllbare Lücke.
Die national und international renommierte Castingdirektorin verstarb viel zu früh mit erst 57 Jahren.
Ihre Kunst der Besetzung war einzigartig.
Simone sah auf Anhieb das Tiefste und Wahrhaftigste. Mutig, provokant, klar; auch unbequem. Ach, hat sie uns Agenten gekitzelt und angetrieben. Hat eine Haltung vertreten, uns die Meinung gesagt, uns Türen aufgemacht und vor der Nase wieder zugeschlagen. So offen und ehrlich, dass es uns manchmal nicht so recht war, wenn sie ins Schwarze getroffen hat. Ihr weiches und zartes „Hallo, Simone Bär hier.“ am Telefon bleibt in unserem Ohr. Für immer.
In dankbarer Erinnerung.
Gerne verweisen wir auf das Podcast Gespräch mit Christian Schwochow von 2018, sowie das Interview für unser Wissensportal vierundzwanzig.de
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