Die Akademie gratuliert Iris Berben zum 70. Geburtstag
Sie ist purer Rock‘n‘Roll
Von Alfred Holighaus
Es begann in einem Jaguar. Aus heutiger Sicht nicht das schlechteste Statussymbol für den revolutionstheoretischen Hedonismus der Kinder von Marx und Coca Cola, zu denen sich die Jubilarin gerne zählen lässt. Am Steuer saß der Schriftsteller und Feuilletonist Uwe Nettelbeck und hatte eine Mission. Er wollte den deutschen Film schöner machen. Dafür musste die achtzehnjährige stadtbekannte Rebellin aus den Straßen von Hamburg nach München gebracht werden, in die damalige Metropole des deutschen Kinos der Opas und der Enkel. Am besten zu den unabhängigsten Vertretern der Nouvelle Vague Bavarois, zu Rudolf Thome und Klaus Lemke. In Thomes melancholischem Gangsterdrama „Detektive“ gab Iris Berben ihr Kinodebüt an der Seite des geborenen Kinohelden Marquard Bohm (der sich selbst systematisch daran hinderte, ein solcher zu werden). Für Klaus Lemke stand sie danach neben Margarethe von Trotta in „Brandstifter“ vor der Kamera, der Allegorie auf die erste Tat der damals noch nicht so genannten RAF. Da konnte der Ruf zum Lieblingsgenre der Achtundsechziger, dem Italo-Western, nicht lange auf sich warten lassen. Kein Geringerer als Sergio Corbucci, der sich zuvor mit Klassikern wie „Django“ und „Leichen pflastern seinen Weg“ einen großen Namen gemacht hatte, gab Iris Berben die weibliche Hauptrolle in seinem etwas leichtfüßigen Revolutionsdrama „Lasst uns töten, Companeros“ – neben Franco Nero, Jack Palance und Fernando Rey, die sich in der deutschen Synchronfassung kaum davor bewahren konnten, Witzfiguren zu werden. Iris Berben hat das geschafft. Sie hieß Lola, sie rannte und behielt ihre hinreißend juvenile Würde. Und konnte – unbeschadet und um eine wichtige internationale Erfahrung reicher – nach Deutschland zurückkehren. Und zwar buchstäblich wie von einem anderen Stern. Denn in Rudolf Thomes „Supergirl“ spielt sie 1970 die außerirdische Titelheldin. Es dauerte also keine zwei Jahre, bis Nettelbecks Mission erfüllt und der deutsche Film nicht nur schöner, sondern vor allem reicher war. Iris Berben und Uwe Nettelbeck haben sich übrigens niemals wiedergesehen.
Wenn Iris Berben Geschichten aus dieser Zeit in München erzählt und man sich sofort vorstellt, welche sie lieber verschweigt, entsteht das Bild einer Zeit, auf die man nicht zurückblicken möchte. Man wünscht sie sich noch lieber als Vision.
Da Iris Berben immer lieber ihrem eigenen Kopf als den gesellschaftlichen oder brancheninternen Konventionen gefolgt ist, stand sie als Schauspielerin auch dem Fernsehen zur Verfügung. Das kam in den Siebzigern nicht bei jedem so gut an, weshalb sie eine Zwangspause vom Kino machen musste. Sie machte das Beste daraus. Und zwar in jeder Beziehung: Unter anderem und vor allem nicht unbemerkt: „Sketchup“ mit dem großartigen Kollegen Diether Krebs. Ein Charakter-Komödiant, wie ihn die damalige Bundesrepublik weder zu erkennen noch zu schätzen in der Lage war. Mit ihm wurde Iris Berben mal so nebenbei zur Mutter der frechen, weiblichen TV-Comedy, die man versehentlich für eine Erfindung des neuen Jahrtausends hält.
Iris Berben ist durch ihre Direktheit und ihre wahrscheinlich genetisch bedingte Unkonventionalität in einem System, das jene Begriffe weder phonetisch noch phänotypisch zu identifizieren vermochte, zum Star geworden, für den die Grenzen der klassischen Kulturkritik nicht mehr zu gelten schienen, auch weil sie für sie selbst und ihr äußerst diversivisiertes Publikum keine Bedeutung mehr hatten.
Sie war das bekannteste Gesicht und die hinreißendste Stimme des deutschen Fernsehens – und zunehmend auch wieder des Kinos. Da steht die coole Frankfurter Ermittlerin „Rosa Roth“ neben der kühlen Bethsy in den „Buddenbrooks“, da erlebt man die Berliner Szene-Braut in Manfred Stelzers solitärer Außenseiterkomödie „Schwarzfahrer“ neben Hannelore Elsner in Oskar Roehlers so schamloser wie faszinierender TV-Adaption des Hollywood-Klassikers „What ever happend to Baby Jane“ titels „Fahr zur Hölle, Schwester“ oder die Sportlerfarce „Eddie The Eagle“, in der sie neben Hugh Jackman eine unwiderstehliche Tresenschlampe gibt, neben dem mit feiner Lakonie geschriebenen, inszenierten und gespielten Psycho-Drama „Hanne“ ( Regie: Dominik Graf), „Es kommt der Tag“ von Susanne Schneider, mit dem Iris Berben zum Thema RAF aus heutiger Perspektive zurückkehrt neben der Miniserie „Die Protokollantin“, die Iris Berben in einem emotionalen Korsett erzählt und dabei den Blick auf Abgründe und das allzu Menschliche öffnet.
Iris Berben hat sich ja nicht vorgenommen, die Schauspielerin in Deutschland zu werden, die alle kennen, die alle bewundern und über die sich deshalb auch besonders viele besonders gerne aufregen. Aber der Blick auf ihr umfang- und abwechslungsreiches Werk, ihre berückende und souverän ausgespielte Wandlungsfähigkeit zwischen aufregendem Vamp und dem stillen Wasser, dessen Tiefe sie nicht zuletzt mit ihren Augen und ihrer Stimme zu ergründen in der Lage ist, haben sie dazu gemacht. Und ihr Herz. Und ihr Witz. Und ihre Aura, die nicht nur vor der geliebten und liebenden Kamera leuchtet, sondern auch bei ihren besonderen Lesungen und zuletzt auch auf der Bühne gemeinsam mit Anke Engelke.
Iris Berben ruht sich gerne aus. Aber nicht auf irgendetwas. Sie lebt nach vorne – und wird sich darum auch in der Arbeit nicht zurückbewegen. Als sie im Februar diesen Jahres auf der Berlinale eine Laudatio auf ihre Kollegin Helen Mirren halten durfte, weil die sich niemand Besseres dafür vorstellen konnte, schloss sie mit den Worten:
„Meine uneingeschränkte Bewunderung gilt Deiner unkomplizierten, unkapriziösen, direkten und herzlichen Art. Du bist nämlich eigentlich purer Rock`n`Roll.“ Dito – sagen nicht nur, die sie beim Opening zum Deutschen Filmpreis an der Seite von Edin Hasanovic haben tanzen sehen.
Iris Berbens mit geradezu beängstigender Selbstdisziplin und großer Spielfreude geschafftes Pensum vor der Kamera hielt sie nicht eine Sekunde davon ab, sich gesellschaftspolitisch und humanitär zu engagieren. Und das hat in genau den Zeiten, in denen Zivilcourage wieder zu den allerersten Bürgerpflichten zählt, natürlich deutlich zugenommen .
Shitstorms setzen Iris Berben zu. Aber Angst, Rückzug oder Resignation waren nie eine Option. In keiner Lebenslage übrigens. Bei Iris Berben kann man schon lernen, was Selbstbehauptung ist, wenn man mit ihr eine Zeitung am Kiosk kaufen geht. Man spürt den selbstverständlichen Respekt für andere und die Forderung nach diesem Respekt.
Vor gut zehn Jahren reichte Iris Berbens Energie dann auch bis in die Deutsche Filmakademie hinein, deren Präsidentin sie neun Jahre lang gewesen ist. Schon ihre kurze und entwaffnend charmante Wahlrede am 14. Februar 2010 machte deutlich, welche neuen Maßstäbe sie als Repräsentantin der Akademie und des deutschen Films setzen würde.
Denn während Bruno Ganz die zeitlichen und repräsentativen Pflichten des Amtes nach knapp zwei Jahren nicht mehr mit seiner künstlerischen Arbeit verbinden konnte, schien Iris Berben dazu übergegangen zu sein, ihre Tage eigenmächtig um mehrere Stunden zu verlängern, um sich noch mehr in die nicht immer glamouröse Arbeit für die Akademie stürzen zu können. Dazu gehörten auch die arbeitsreichen Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen. Anstatt sich aber nur darüber zu beklagen, dass sie laut Satzung bei Entscheidungen kein Stimmrecht habe, machte sie einfach auf in jeder Beziehung bemerkenswerte Weise von ihrem Rederecht Gebrauch. Meinungsstärke ist eine weitere Stärke von Iris Berben. Zu diesen Stärken gehört übrigens auch, dass sie keine Probleme damit hat, offen über ihre Schwächen zu sprechen.
„Aus einer rein neoliberalen Sichtweise wäre die Einstellung der Abgabe vielleicht eine zu begrüßende Marktbereinigung. Allerdings eine, die eine Riesensauerei hinterlassen würde“, sagte sie in einem Interview mit der „Zeit“ im Herbst 2013. Damals stand die Verfassungskonformität der Filmförderung des Bundes auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgericht. Eine in Deutschland aktive internationale Kinokette hatte dagegen geklagt, Abgaben für die Förderung deutscher Filme leisten zu müssen. Iris Berben – übrigens die erste Schauspielerin, die jemals in einem Vergabegremium der FFA gesessen hatte – setzte sich als Präsidentin der Deutschen Filmakademie öffentlich für die Förderung ein und gab dieses Interview wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe. Denn: „Das Kino hat doch eine gesellschaftliche Aufgabe: Es ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um Gemeinschaft zu erleben, um miteinander zu diskutieren und zu streiten. Das ist ein wertvoller Teil von uns.“ Dabei formulierte sie aber gleich auch ein klares Ziel: „Aber wir brauchen noch mehr Mut. Wir brauchen wache Verleiher, Förderer, Filmemacher, Schauspieler. Sie sind die Hoffnung des deutschen Kinos. Genau für das, was von ihnen erdacht und produziert wird, ist die Filmförderung da.“ Das Gericht folgte ihr, auch inhaltlich, in einem wegweisenden Urteil, dass am 28. Januar 2014 verkündet wurde. Natürlich in Anwesenheit der Präsidentin – und im auffällig kleinen Sitzungssaal des höchsten deutschen Gerichts hatte man das Gefühl, die Bühne ist im Publikum und gehört Iris Berben.
Am Ende ihrer Amtszeit konnte Iris Berben zwar auf insgesamt über 40 nationale wie internationale Auszeichnungen zurückblicken – vom Bambi über den Orden der Polizeigewerkschaft, den Leo-Baeck-Preis, den Karl-Valentin-Orden, den Women´s World Award for Tolerance, das Bundesverdienstkreuz und die Bayerische Verfassungsmedaille in Gold -, aber einen Deutschen Filmpreis hat sie nie erhalten.
Aber sie hat ihn immer mit Grandezza vergeben.
Iris Berben wird nicht alt. Sie wird siebzig. Und ihr Alter spielte schon keine Rolle, als man sie noch für zu jung hätte halten können. Das ist so geblieben. Kein Thema also, aber ein Grund, sich mal wieder über sie zu freuen.