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Die Deutsche Filmakademie trauert um Wolfgang Petersen

Ein Nachruf auf Wolfgang Petersen von Dominik Graf und persönliche Worte von Günter Rohrbach

In meinen Filmhochschuljahren gab es nur ganz wenige westdeutsche Regisseure, die uns als lebende Vorbilder dienen konnten. Was für ein seltsamer Zufall, dass Wolfgang Petersen nun lediglich ein paar Wochen nach Klaus Lemke gestorben ist. Beide waren sie auf ihre Art Abtrünnige des stets allzu hochgelobten westdeutschen Autorenfilms, Petersen auf der Suche nach der großen Form, Lemke nach der klitzekleinen. Beide aber gleichermaßen völlig unabhängig vom Zeitgeist, wohin er auch gerade wehte.

1. „This Man“
Der ursprünglich für „Das Boot“ vorgesehene amerikanische Star-Regisseur John Sturges, sagte – so steht es in seiner Biographie – nachdem er den fertigen Film im Kino gesehen hatte: ”…. This man did a better job than I would have done…“ Vielleicht ist dies das schönste Kompliment, das man kriegen kann, wenn es von einem derart hochprofessionellen, in diesem Fall auch direkt um dasselbe Projekt konkurrierenden Kollegen kommt, einem Meister, der ein Dutzend von Hollywood-Genre-Klassikern inszeniert hatte, darunter „Die glorreichen Sieben“ und „The Great Escape“.

Jetzt – 40 Jahre später rückblickend auf zehn weitere Spielfilme danach (davon mindestens fünf amerikanische Groß-Blockbuster) kann man wahrhaftig etwas flapsig sagen, dass Wolfgang Petersen -„this man“- überhaupt bei all seinen Filmen einen intergalaktisch großartigen „Job“ gemacht hat. Er hat Brad Pitt in „Troja“ zu einer seiner faszinierendsten Leistungen verholfen, er hat Clint Eastwood in eine herrlich ambivalente Rolle eingepasst, in der er ein – zwar verletztes, aber glaubhaft arrogantes – Arschloch sein darf, und dies nicht mit seinem üblichen Stoneface-Image spielt, sondern für seine Verhältnisse geradezu dampfplaudernd gut gelaunt daherkommt. Er hat im selben Film –„In the Line of Fire“– Ennio Morricone die Chance zu einem seiner dynamischsten Hollywood-Musiken gegeben, was eine wunderbare schmutzig-europäische Schicht von Italo-Mafia-Thriller über die Skylines von Washington und L.A. legte. Er hat in „Shattered“, diesem pervers- bösen Meister-Film-Noir, Greta Scacchi ihre allerbeste Rolle gegeben – was mich persönlich immer besonders gefreut hat. Er hat mit Harrison Ford in „Airforce One“ den amerikanischen Präsidenten zum Actionhero gemacht, er hat die angeblichen Schauspieler-Bestien John Malkovich und Gary Oldman für seine Zwecke gebändigt, hat Dustin Hoffman in „Outbreak“ gegen eine moderne Pest kämpfen lassen. Er hat George Clooney und die wunderbare Diane Lane durch einen Jahrhundertsturm geschickt und die Höllenhunde der untergehenden Poseidon nochmal losgelassen. Er hat Louis Gosset den Sonnengesang der Dracs auf einem einsamen fernen Planeten singen und schnurren lassen.

Er hat – jetzt wird’s langsam einheimischer – Nastassja Kinski, Jürgen Prochnow und Diane Krüger zu internationalen Stars gemacht und er hat uns jüngeren deutschen Regisseuren 1981 eine ganze Riege von brandneuen Schauspielern sozusagen zu guten Händen überlassen: Heinz Hönig, Uwe Ochsenknecht, Ralf Richter, Jan Fedder, Claude Oliver Rudolph, Martin Semmelrogge, nicht zuletzt Herbert Grönemeyer, auch wenn der dann bald andere Wege ging. Und mitten in diesem Reigen der so erfrischenden deutschen Gesichter von damals verdanke ich Petersen besonders Klaus Wennemann, der im „Boot“ die vielleicht schönste Rolle zu spielen hatte. Jene Rolle, die so prosaisch in den Credits „leitender Ingenieur“ hieß.

Er hat den Tatort zum Blockbuster des deutschen Fernsehens gemacht. Er hat 1973 in „Einer von uns beiden“ ein herrlich ungeschöntes Westberlin gefilmt, hat dort Jürgen Prochnow, gemeinsam mit Elke Sommer, Otto Sander, Claus Theo Gärtner und Klaus Schwarzkopf eine kolossal rauhe Gangart gehen lassen, eingeklemmt zwischen einem unvergessen pittoresk kaputten Kreuzberg und dem Zehlendorfer Villenviertel und der Mauer, vor der Prochnow und Gärtner in einem heute noch ziemlich atemberaubenden Auto-Stunt verunglücken. Er hat Homer umgeschrieben, indem er Agamemnon in Troja hat töten lassen und nicht daheim in seiner Badewanne. Und er ist schuld an dem kleinen Dialog des Drehbuchautors Günter Schütter in einem Polizeiruf namens „Cassandras Warnung“, in dem eine junge Polizistin dringend beweisen will, dass sie auch was von den Figuren der Antike versteht und sagt: „Cassandra ist die Schwester von Brad Pitt“. Was von Matthias Brandt, ihrem Chef in diesem Film, sofort verbessert wird, nämlich dahingehend, dass Cassandra die Schwester von Orlando Bloom sei. Und dies alles, obwohl Cassandra im Film „Troja“ gar nicht vorkommt, nicht mal im tollen Director’s Cut – aber weil wir halt so dringend darauf Bezug nehmen wollten.

2. Der Mann aus dem Nichts
Es war dem deutschen Film der späten 60er und frühen 70er wahrhaftig nicht anzusehen, dass irgendwo in seiner Mitte langsam aber allmählich immer unübersehbarer ein späterer Hollywood-Regisseur einer solchen Größenordnung heranwuchs. Nichts – oder fast nichts – wies darauf hin, dass es bei uns sowas wie eine handwerkliche Tradition gab, auf die zurückzugreifen einem jungen Genre-Regisseur möglich gewesen wäre, als er seine Tatorte, seine Thriller, seine Katastrophen- und Kriegs- Szenarien im deutschen Fernsehen und später im deutschen und internationalen Kino inszenierte.

Das Genre an sich war in den 60ern bei uns erstmal mausetot, man musste es neu erfinden, um es wieder zu beleben. Fritz Umgelter versuchte es im Fernsehen, Jürgen Roland versuchte es lange Jahre im Kino und war teilweise erfolgreich, Rolf Olsen versuchte es, Wolfgang Staudte versuchte es, Klaus Lemke versuchte es – ließ es bald aber wieder bleiben – Roland Klick kam schon wesentlich weiter als die anderen bis dahin, aber nur Wolfgang Petersen übersprang die ganz große Höhe – die deutsche Rekord- Stabhochsprung-Latte sozusagen – das Genre und den kommerziellen Erfolg so einzigartig zu verbinden, dass darauf für uns später eine eigene, neue Tradition stabil zu bauen war.
Wir hatten ein mehrtägiges Seminar in den End-70ern an der HFF mit ihm. Er probte und inszenierte eine Münchner Tatortszene mit uns. Wir erlebten damals ja eher deutsche Regisseure, die sich wie Rocksänger benahmen, die sich hinter den Krägen ihrer Lederjacken versteckten und am besten gar nix sagten, introvertierte oder herrische Autorenfilmer, je nachdem (und die ja – wie wir wissen – trotzdem wahrhaftig einige eigenwillige, außergewöhnliche Filme hinkriegten, und wir dachten damals, das müsse in Deutschland genau so sein, auch wenn wir uns vielleicht mit solchen Künstlerposen etwas schwer taten.)

Hier bei Petersen sahen wir aber ein völlig anderes Temperament bei der Arbeit. Einen Regisseur, offen, handwerklich orientiert, bemüht, uns ganz einfach beizubringen, wie eine Szene funktionieren könnte, so, dass ihr Rhythmus stimmt, dass die Schauspieler sich entfalten, dass unsere Kamerabewegungen mit dem Timing übereinstimmen. Und dass der Punkt, auf den die Szene zusteuert, trotz aller Details am Ende deutlich sichtbar wird. Es war dieses Handwerk, das uns total abging. Das Handwerk, das damals in der BRD-Filmlandschaft in Verruf stand. Das Handwerk der Regie, das in den Filmkritiken immer mit einem „nur“ versehen wurde. „Nur gutes Handwerk“ hieß es da immer. Ich weiß, dass mich seine Mischung aus Professionalität, offener Kommunikationsbereitschaft und der Humor beim Inszenieren ungemein beeindruckten. Da war ein vollkommener Gegensatz zum deutschen Film jener Jahre, den wir – ich spreche von meinen Regie-Klassengenossen Max Färberböck, Wolfgang Büld, Michael Zens – sehr kritisch betrachteten. Petersen kam uns sozusagen in unseren Zweifeln am Autorenfilm gerade recht…einerseits.

Andererseits war uns aber auch noch gar nicht klar, dass seine Methode – die uns so bescheiden, so klassizistisch, so ergebnisorientiert vorkam – diejenige Methode werden würde, die wir später versuchen würden, nachzuahmen und zu verinnerlichen.
Am letzten Abend der Übung damals gab es eine Unterhaltung zwischen Petersen und uns, und ich glaube mich zu erinnern, „Das Boot“ war bereits in der Pipeline, aber Geld, Finanzierung und seine Mitwirkung als Regisseur – alles stand auf Messers Schneide. Wir waren schwer beeindruckt von der Begegnung, und inzwischen wissen wir ja alle, was es damals für ein Kampf war, wie schwer es für Günter Rohrbach war, überhaupt einen jungen deutschen Regisseur auf den Regiestuhl dieses Riesenprojekts zu hieven. Allerdings – das wissen wir jetzt auch – waren die Querelen um „Das Boot“ scheinbar noch ein säuselnder Morgenwind im Verhältnis zu den Finanzierungsmarathon-Orkanen, die Petersen später in Hollywood bevorstehen würden.

3. Der Punk mit dem Ghettoblaster
Zeitsprung. Herbst 1981. „Das Boot“ lief seit September im Kino und war ein Hit. In Kreuzberg stand nachts unter einer Laterne ein Punk-Junge an der Ecke, Sorauer/Görlitzer Straße, neben einem leeren Kinderspielplatz, in einer Hand lachend einen Ast, in der anderen schaukelte er im Kreis tanzend einen Ghettoblaster. Und der Junge – jeglichen Nationalismus‘ unverdächtig – schlug mit dem schmalen Ast den Westberliner November-Staub aus dem Asphalt, im Rhythmus des Titelthemas von Klaus Doldinger, das er auf Kassette ohrenbetäubend abspielte.

Ich erinnere mich an diesen Anblick, der Junge war vielleicht 13, er sah aus wie die Miniaturausgabe dieser beiden tolldreisten Musiker von DAF – Sie wissen schon, diese grandiosen Avantgardisten mit ihrem provokanten „Tanz den Adolf Hitler“ damals. Er war ein postmoderner New-Wave-Freak und über ihm konnte man damals noch die Einschüsse an den Kreuzberger Häusern aus dem 2. Weltkrieg sehen. „Das Boot“ hatte sich über alle deutschen Abgründe und Ambivalenzen hinweggesetzt, es hatte trotz des empörten Geschreis rundherum alle Gefahren umschifft. Der Film ist später in keiner Fassung wirklich komplett politisch korrekt geworden, und die bundesdeutsche Kino-Industrie träumte sich selbst vom Premierentag dieses Films an anders als jemals zuvor.

Von nun an träumte man bei uns via Hollywood. Klar, mit Recht nach diesem Kometeneinschlag. Diese Träume sind uns aber seitdem wahrhaftig auch oft zum Ballast geworden. So manche Regisseure haben sich in Petersens Fußabdrücken versucht, die er in unserem Branchen-Wüstensand hinterlassen hat, und haben merken müssen, dass sie doch die eine oder andere Nummer zu groß waren. Vielleicht war „Das Boot“ auch das Ende einer seligen, unschuldigen BRD-Film-Provinzialität, aus der der Autorenfilm ja wahrhaftig alles Kapital geschlagen hatte, was möglich war (seine Protagonisten saßen zur selben Zeit bei Coppolas zu Hause auf der Veranda und träumten auch ihren legitimen Autoren-Traum). Aber „Das Boot“ war anders, denn es war nicht im eigentlichen Sinn ein Autorenfilm – auch wenn die Regie-Handschrift inzwischen unverwechselbar war- und vor allem: Es war ein unglaublicher kommerzieller Hit. Es war „Neue Deutsche Welle“ einerseits, und entfaltete andererseits eine historische Dynamik wie sonst kein deutscher Film nach dem Krieg.

Und so war der Junge mit dem Ghettoblaster auch gar kein martialisches Bild, sondern er war das Bild einer neuen Denkfreiheit. Doldingers Thema, das über die Straßen schallte, war ein Wegweiser dafür, dass die ganze verfluchte Widersprüchlichkeit unserer Geschichte im 20. Jahrhundert allmählich doch wieder uns zu gehören begann, dass jetzt eine Generation den Schuldbegriff anders fasste, sich vor der Kollektivschuld natürlich nicht drücken wollte – das war eine Selbstverständlichkeit und ist es bis heute – aber dass diese Generation die Interpretationsmöglichkeiten für die verbrecherische ebenso wie für die von den Vorfahren erlittene Vergangenheit nun für sich beanspruchte. Und dies auch noch ausgerechnet in der sowieso bei uns immer so schief angesehenen Währung der Populärkultur! Was für ein Ball nach vorne, in die Zukunft, war das!
Ich habe lange Zeit von diesem Grundvertrauen gezehrt, das Wolfgang Petersen uns beigebracht hat. Es bestand schlicht darin, dass auch in Deutschland große Actionfilme entstehen könnten. Betonung auf Konjunktiv. Er hat damals in einem tollen Mix von geradezu Ingenieurs-haftem Erfindungsgeist aus dem Hobbykeller und von zur Meisterschaft gereiftem Regie-Können ein mögliches Genre-Kino für uns definiert.

Und ich frage mich heute auch angesichts des Weges, den Wolfgang Petersen danach nahm: Hatten wir nicht mehr zu bieten für solch einen Regisseur? Müssen wir es unserer Industrie nicht doch ein wenig übel nehmen, dass sie solche Großtalente nicht letztlich halten kann? Und hätte es eine Chance für ihn gegeben, früher zurückzukehren? In Worten: „Störtebeker“ doch noch zu drehen? Lauter Fragen, die wir Zurückgebliebenen uns gestellt haben – weil es halt auch ein Elend ist mit den Blockbuster-Versuchen bei uns, weil bei uns letztlich jene nur selten durchbrochene grausame Regel gilt, die besagt, dass „je teurer ein Film ist, umso mauer wird er am Ende“ – weil immer zu viele Leute mitreden. Und weil wir alle für dieses Problem seit dem „Boot“ eigentlich nie mehr eine rechte Lösung gefunden haben.

4. Stille vor dem Sturm
Es gibt die Momente der Stille an den großen Sets, morgens früh beispielsweise, bevor die Arbeit losgeht. Diese Momente braucht man als Regisseur, um sich zu konzentrieren, an seinem eigenen Tatort, der noch gar nichts von dem weiß, was heute an ihm alles stattfinden und passieren soll – und wir wissen es ja manchmal auch selbst noch nicht, was auf uns dort wartet. (Man denke allein an die schwere Verletzung von Brad Pitt bei seinem ersten Kampf in „Troja“!) Aber wie auch immer, man kann sagen, es ist in solchen Momenten umso stiller, je grösser der Set um einen herum ist.
An Wolfgang Petersens Sets seh ich natürlich im Geiste immer das Meer rauschen, mal ganz nah, mal weiter entfernt, manchmal nur im Headroom seiner Gedanken sozusagen. Ich stelle mir neben ihm das gigantische trojanische Pferd vor, gemacht aus Schiffsplanken. So als sei dieses Pferd auch Störtebekers Barkasse gewesen, die er ja nun schließlich immer noch nicht hat segeln lassen können.

„Ich liebe die großen Geschichten“, hat er oft gesagt. Vielleicht sind es alles kinematographische Hymnen, die er geschaffen hat, Hymnen an die Zweikämpfe zwischen Männern („In the Line of Fire“, „Einer von uns beiden“, „Enemy Mine“, „Schwarz und Weiß wie Tage und Nächte“ etc.), Hymnen an die Naturgewalten. Und es ist wie in der Musik: Hymnen müssen eine eingängige Melodie haben, sonst singt keiner mit.


Persönliche Worte von Günter Rohrbach

Wolfgang Petersen war ein unerschütterlicher Optimist, als Haltung zum Leben war das immer schon amerikanisch. Der Tod war da keine Option. Die Entdeckung seiner Krankheit, ausgelöst durch einen Zufall, feierte er, ihrer Früherkennung wegen, als Erfolg. Das sollte sich freilich wenige Wochen später als schrecklicher Irrtum erweisen. Aber auch da behielt er den Kopf hoch, absolvierte er die Chemo mit Bravour und ohne Nebenwirkungen. Selbst die deprimierende Erkenntnis einer Nachuntersuchung verformte sich aus seinem Mund zu einer Harmlosigkeit. Drei Wochen vor seinem Tod hatten wir unser letztes Telefonat. Er liebte diese Gespräche, die sich oft über Stunden ausdehnten, es war die Form, in der wir zuletzt unsere Freundschaft lebten. Er konnte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr ohne Sauerstoffgerät sein. Aber er ließ nicht zu, dass das jetzt eine Rolle spielte, wir plauderten wie immer, wir lachten wie immer, und als er spürte, dass er es nicht weiter schaffte, nahmen wir Abschied wie immer. So war er, so gelang ihm dieses grandiose, von vielen Erfolgen geprägte Leben, das er so liebte und in dem er sehr viel Liebe verströmen konnte.

In den frühen Morgenstunden des 12. August brach dieser große Regisseur, dieser wunderbare Mensch, liebevoll geleitet von seiner Frau Maria, auf zu seinem letzten Set.