Günter Rohrbach, Iris Berben
Foto: Kreisstadt Neunkirchen

Iris Berben zum 90. Geburtstag von Günter Rohrbach

Zum achten Mal wurde am Freitag Abend in Neunkirchen der Günter-Rohrbach-Filmpreis verliehen. Filmakademie-Präsidentin Iris Berben hielt anlässlich des 90. Geburtstages eine Laudatio auf ihren Vorgänger und Jubilar Günter Rohrbach:

„Schon als Günter Rohrbach am 23. Oktober 1928 hier in Neunkirchen zur Welt kam, war er seiner Zeit voraus. Er wurde in einem Schaltjahr geboren, und der Tag der Geburt war nicht wie üblich der zweihundertsechsundneunzigste des Jahres, sondern bereits der zweihundertsiebenundneunzigste. Diesen Vorsprung hat Günter Rohrbach im Laufe seine Lebens nicht nur gehalten, sondern auch deutlich ausgebaut.
Während Legionen von Studierenden der Geisteswissenschaft in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren davon geträumt haben, wenigstens eine Vorlesung des großen Soziologen und Philosophen Jürgen Habermas hören zu dürfen, hat Günter Rohrbach einfach gleich mit ihm studiert und der Legende nach einen Filmclub gegründet.

Während noch heute im realpolitischen Alltag um die korrekte Bekämpfung von Feinstaub in der Atmosphäre deutscher Großstädte gerungen (oder geschummelt wird), hat er bereits 1973 mit Wolfgang Menge und Wolfgang Petersen für den WDR das Umweltdrama Smog realisiert. Und erwies sich damit als ebenso visionär wie drei Jahre zuvor, als er Wolfgang Menge das Drehbuch für Tom Toelles Fernseh-Schocker Das „Millionenspiel“ schreiben ließ, in dem damals der mittlerweile selbstverständlich gewordene Zynismus und Voyeurismus des Reality-TVs als maßlos übertriebener Blick in eine furchtbare Medien-Zukunft empfunden wurde.

Günter Rohrbach leitete zu dieser Zeit schon ein paar Jahre die Fernsehspielredaktion des WDR und war damit Vorsitzender des kreativen kölschen Klüngels, zu dem Gunther Witte, Peter Märtesheimer, Joachim von Mengershausen und später auch Wolf-Dietrich Brücker gehörten. Sie waren die Ermöglicher eines jungen deutschen Kinos, das damals im Fernsehen Unterstützung um seiner selbst Willen erhielt, anstatt von diesem bedroht oder gar bevormundet zu werden.
So kam es auch zu meiner ersten Zusammenarbeit mit dem Jubilar, der damals – Ende der sechziger Jahre – als Redakteur für Klaus Lemkes Prä- (und nicht Pro-)RAF-Film „Brandstifter“ verantwortlich war.
Und als wäre seine Hinterlassenschaft bei diesem Sender, dem wir auch durch ihn unvergessliche und meisterhafte Serien wie „Ein Herz und eine Seele“ oder Rainer Werner Fassbinders „Acht Stunden sind kein Tag“ zu verdanken haben, nicht schon groß genug, schenkte Günter Rohrbach der Redaktion vor seinem Wechsel in die Geschäftsführung der Münchner Bavaria 1979 gegen ihren Willen auch noch die US-Serie „Holocaust“. Durch diese – übrigens sein gesamtes Werk auszeichnende – Mischung aus Popularität und Aufklärung hat er es geschafft, dass die Auseinandersetzung mit der Shoah nicht mehr aus den deutschen Wohnzimmern und schon gar nicht aus deutschen Köpfen verdrängt werden konnte.

Mit seinem Wechsel nach München, wo er heute noch gerne lebt, aber als Fußball-Fan und –kenner mit großer Sorge die alten und vor allem neuen Leiden des Kölner FC aus der Ferne beobachtet, fand er seine wichtigste Bestimmung. Günter Rohrbach wurde Filmproduzent – und was für einer.

Ich muss hier nicht all die legendären Produktionen aufzählen, die der deutsche Film ihm aus seiner Zeit als Bavaria-Boss und später auch als freier Produzent – unter anderem mit Senator Film und der Constantin – verdankt. Lieber spreche ich in diesem Zusammenhang über seine Treue zu Regisseurinnen und Regisseuren, die nicht nur aufgrund ihrer großen Talente, sondern auch durch Günter Rohrbachs Lust an Geschichten und die Fähigkeit zu klarer und konstruktiver Kritik zu denen wurden, die sie sind: Max Färberböck, Rainer Kaufmann, Hermine Hunthgeburt, Dominik Graf – und vor allem Wolfgang Petersen, dem er mit dem Welterfolg von „Das Boot“ das One-Way-Ticket nach Hollywood löste, wo er ihn heute noch gerne und regelmäßig besucht.

Als ich in der Verfilmung des Kinderbuches seines Freundes Uwe Timm titels „Rennschwein Rudi Rüssle“ neben dem unvergessenen Ulrich Mühe und unter der Regie von Peter Timm eine der Hauptrollen spielen durfte, konnte ich es selbst erleben:
Günter Rohrbach hält die beliebtesten, klügsten und motivierendsten Warm-Up-Reden am Abend vor Drehbeginn, und er begleitet seine Produktionen mit Hirn und Herz bis lange nach dem Kinostart, den er selbst aber immer verpasst, weil er seine eigenen Premieren grundsätzlich nicht besucht. Das ist wahrscheinlich die einzige Situation, in der der Mann, der uns nicht nur voraus ist, sondern im Zweifel auch immer voraus läuft, schlapp macht. Kurz danach läuft er allerdings wieder zur Hochform auf. Anlässlich des Festaktes zu Günter Rohrbachs 80. Geburtstag im Literaturhaus von München, erzählte Helmut Dietl die überspitzt erfundene und darum so wahrhaftige Geschichte von Rohrbachs Kampf gegen die Schlaflosigkeit, in die ihn die unbegründete Sorge um mangelnde Zuschauer der Bavaria-Produktion „Schtonk!“ getrieben hatte. Er soll fassungslos vor einem Münchner Kino gestanden haben, das die Frechheit besessen hatte, morgens um vier noch keine Vorstellung des Films anzubieten.

Günter Rohrbach lacht übrigens sehr gerne. Das mag einer der Gründe sein, weshalb er in den letzten Jahren eine besondere Beziehung zu dem – wie soll ich sagen? – äußerst humorbegabten Regisseur Leander Haußmann pflegt. Mir gefällt das schon alleine deshalb, weil ich mir mit diebischem Vergnügen gerne vorstelle, wie die beidem in einem Etablissement zusammen Tee trinken, wo Leander Haußmann vielleicht sonst Hausverbot hätte.

Günter Rohrbach war zwei Jahre älter als Konrad Adenauer bei Beginn von dessen Kanzlerschaft, als er an der Seite von Senta Berger Präsident der Deutschen Filmakademie wurde. Er war einer der Gründerväter der Akademie, ihr Chefunterhändler in der Politik und ihr Wortführer in der Presse. Anlässlich ihrer Gründung im Jahr 2003 und angesichts der öffentlichen Kritik an der Vergabe eines staatlich dotierten Preis durch einen privaten Verein schrieb er im Berliner Tagesspiegel: „ Es war zu erwarten, dass eine solche Verbindung staatlichen und privaten Handelns Misstrauen auslösen würde. Doch der Vorwurf, hier solle einer Branche eine Art Selbstbedienung mit Subventionsmitteln erlaubt werden, ist absurd. Das Geld stiftet auch in Zukunft die Ministerin. Nur die Jury, deren Dienste sie dabei in Anspruch nimmt, ist eine andere, allerdings eine, deren Kompetenz so eindeutig ist wie ihre Unbestechlichkeit.“ (Zitat Ende)
Genau das hat sich in den letzten fünfzehn Jahren bewahrheitet. Heute kann Günter Rohrbach auch deshalb ein Lied davon singen, weil er selbst seit Gründung der Akademie keinen Filmpreis mehr erhalten hat.
Seit 2010 stehe ich übrigens auch diesbezüglich in seiner Nachfolge.

Lieber Günter Rohrbach, Sie haben dem deutschen Film mit der Gründung der Akademie eine Heimat gegeben, einen Ort, an dem er zu sich kommen kann. Die Branche hat es Ihnen öffentlich gedankt, als Sie 2005 zusammen mit Senta Berger bei der ersten Filmpreis-Verleihung auf die Bühne der überfüllten Philharmonie in Berlin kamen. Nicht enden wollender, stürmischer Applaus. Ich weiß, wie gerne Sie sich an diesen Moment erinnern. Es war der Moment, in dem deutlich spürbar war, wie sehr sich der deutsche Film nach einer Familie gesehnt hatte, nach einer Umgebung, in der Streit, Kritik und Lob zwar unbedingt persönlich genommen werden, aber nicht übel. Diese Umgebung haben Sie geschaffen. Und in dieser Umgebung war dann auch das Unvorstellbare möglich, nämlich dass jemand Ihr Erbe antreten könnte.

Die Deutsche Filmakademie, für die ich nun also hier und heute die große Ehre habe, ihnen nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren, verdankt Ihnen unendlich viel. Sie, lieber, verehrter Günter Rohrbach waren und sind ihr Vordenker und ihre Seele. Ich bin stolz und glücklich, mich an dieser Stelle im Namen aller Mitglieder dafür noch einmal ganz herzlich bedanken zu dürfen.

Und ganz persönlich will ich Ihnen noch einmal sagen, wie stark ich es fand, dass Sie mir Ihre Nachfolge zugetraut und mich gefragt haben. Mit anderen Worten: Anlässlich Ihres Geburtstags darf ich mich für ein großes Geschenk bedanken!“

Iris Berben am 2. November 2018 in Neunkirchen · erschienen am 4. November in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung