Renate Kößner · Schauspielerin· Foto: Picture Alliance

Die Deutsche Filmakademie nimmt Abschied von Renate Krößner

Sie hatte den wahrscheinlich coolsten Dialog der deutschen Filmgeschichte. Und sie hatte ihn natürlich in Solo Sunny, dem Film ihres Lebens. Nach einem One-Night-Stand erwartet der Liebhaber am nächsten Morgen eine Tasse Kaffee: „Ist ohne Frühstück“, serviert Sunny ihn ab. Als er widersprechen will, legt sie nach: „Ist auch ohne Diskussion“. Dieser Wortwechsel, den Autor und Ko-Regisseur Wolfgang Kohlhaase (für Regisseur Konrad Wolf war das der letzte Film in seinem viel zu kurzen und schaffensreichen Leben) seiner ungewöhnlichsten Figur auf den Leib geschrieben hatte, war aber so cool, dass er ihn ein Vierteljahrhundert später einer anderen Frauenfigur auslieh. Nadja Uhl bekam ihn in Sommer vorm Balkon von Andreas Dresen.

Die Szene brachte die Figur, mit der sich Renate Krößner unsterblich machte, auf den Punkt. Die Sängerin „Solo Sunny“ wurde zum Inbegriff der Künstlerin als selbstbestimmtes und auch am liebsten alles selbst bestimmenden Individuums im real existierenden Sozialismus. Und damit auch zum Unikum. Bei der Lektüre des Drehbuchs soll sie ebenso begeistert gewesen sein wie davon überzeugt, dass dieser Film niemals öffentlich gezeigt werden würde. Das kam bekanntlich anders. Auf der Berlinale 1980 führte der Weg von der Öffentlichkeit der Leinwand des Zoo-Palastes direkt zur Verleihung des Silbernen Bären vor eben dieser Leinwand. Renate Krößner wurde nicht nur als beste Schauspielerin geehrt, sie war es auch! Dennoch wurde die 1945 in Osterode (Harz) geborene Schauspielerin danach bei DEFA nicht so glücklich, wie diese über den Erfolg ihrer aufregendsten Vertreterin beim Festival des Westens hätte sein sollen. Renate Krößner, die früh auf den verschiedensten Bühnen der DDR und vor der Kamera des Fernsehens der DDR stand, verließ wenige Jahre nach ihrem Triumph zusammen mit Bernd Stegemann die Republik und drehte vor und nach der Wende tolle und sehr unterschiedliche Filme mit Filmemacher·innen wie Hajo Gies, Bernd Schadewald, Hermine Huntgeburth, Friedemann Fromm, Matti Geschonnek, Dominik Graf, Carolin Thummes, Rainer Simon, Manfred Stelzer, Naleesha Barthel, Dani Levy oder Bartozs Werner. Dabei zeigte sie ihr immer jung und oft irreführend unschuldig wirkendes Gesicht stets von vielen Seiten: verschmitzt, verletzlich, verführerisch, verpeilt, verrucht, verloren. Sie hatte als Darstellerin die unheimliche und unberechenbare Tiefe eines stillen Wassers.

Bei unserer einzigen Zusammenarbeit, der Verfilmung des Mauerfall-Bestsellers Helden wie wir von Thomas Brussig (Regie: Sebastian Peterson) spielte sie zehn Jahre nach dem Mauerfall eine Lehrerin, die die politische Weltkarte nach der Vorstellung des ZK der SED ihren Schülerinnen nicht dogmatisch einbläute, sondern vortrug wie die Geschichte vom kleinen Häwelmann für Kinder zur guten Nacht. Rührend – und dabei ironisch und mit diebischem Vergnügen.

Renate war an ihrem 75. Geburtstag vor wenigen Tagen schon sehr krank und bei ihrer Familie in Mahlow. Nun schrieb Bernd Stegemann am 25. Mai, dass „meine große Liebe und Ehefrau, Eugens Mutter Renate behütet zuhause, im eigenen Bett und ohne Schmerzen für immer eingeschlafen“ ist.

Die Deutsche Filmakademie trauert um Renate Krößner und ist in Gedanken bei ihrem Mann und ihrem Sohn.

Alfred Holighaus