© Florian Liedel

Die Deutsche Filmakademie trauert um Uta Schmidt

Am 14. November ist unser langjähriges Mitglied, die herausragende Editorin Uta Schmidt gestorben. Uta war von 2009 bis 2012 Mitglied des Vorstands und hat die Arbeit der Filmakademie stets eng begleitet. 30 Jahre arbeitete sie als freie Editorin erfolgreich im Kino- und TV-Bereich für Regisseur:innen wie Anna Justice, Hermine Huntgeburth und Chris Kraus. Für Ihre Montage in dem Kinofilm „Vier Minuten“ wurde sie mit dem Deutschen Kamerapreis 2007 ausgezeichnet und für den Deutschen Filmpreis nominiert. Sie erhielt eine Nominierung für den Preis der deutschen Filmkritik (für Kraus‘ „Poll“ 2012) und wurde dreimal für den Schnittpreis Edimotion nominiert. Chris Kraus‘ „15 Jahre“ ist der letzte Film, den sie in alleiniger Verantwortung beenden konnte.

Uta wird uns und dem deutschen Film schmerzlich fehlen. Ihr Kollege Benjamin Hembus und ihr Ehemann Chris Kraus nehmen von ihr Abschied.


Diese Frau hat mir viel Zeit gestohlen! Und ich war ihr jedes Mal so dankbar dafür. Wann immer wir uns trafen oder telefonierten, uferten die Gespräche ins Gigantische aus. Eine kleine Anfrage über eine verwendete Musik schlug Wurzeln und bevor wir es uns versahen, waren drei Stunden vorbei.

Uta hatte noch in München Schnitt-Assistenz gelernt und dort ihre ersten Erfahrungen bei Annette Dorn und Dagmar Hirtz gemacht, bevor es sie nach Berlin zog. Dort haben wir uns kennengelernt, in den verlebten Gängen der Dffb. Genau wie ich wollte Uta ihre zukünftige Klientel lieber unter den Studenten suchen statt weiter Filmschnipsel auf den Boden der Galgen zu suchen.

Joni Mitchell hat einmal gesagt: „Nur die Salieris dieser Welt erkennen die Grösse von Mozart!“ Und so ging es mir in diesen Jahren, als wir in vielen Nächten unzählige Studentenfilme schnitten. Manchmal kam Uta zu mir in den Schneideraum und sagte: „Kannst du dir das mal anschauen?“ Und jedes Mal saß ich mit offenem Mund da und staunte über diese unbändige Phantasie, ihr Gespür für Storytelling und ihre grenzenlose Liebe für unseren Beruf, dessen Möglichkeiten sie weit über alle Grenzen auslotete. Wer mit ihr zusammenarbeitete, wusste genau, was man an ihr hatte und hielt ihr über Jahrzehnte die Treue. Allen voran natürlich Chris Kraus, aber auch Anna Justice, Ed Herzog, Titus Selge und viele andere.

Uta war niemals etwas ‚egal‘. Sie verabscheute nichtigen Small Talk. Wenn man sich mit ihr unterhielt, ging es immer um große Themen. Ich habe nie jemanden getroffen, der einen so moralischen Kompass hatte und nach ihm lebte. Sie konnte für ihre Überzeugungen kämpfen wie eine Löwin. Wenn man eine andere Meinung hatte, musste man sich sehr sicher sein, ein gutes Fundament zu haben, denn eine lange Diskussion stand einem bevor. Und danach war man jedes Mal reicher…

Nun wurde uns Uta geraubt. Ich vermisse schon jetzt ihren Mut, ihre Ehrlichkeit und ihre Kampfeslust. Ihr Geschenk an uns war ihre Forderung, genauso aufrecht und geradlinig wie sie zu sein, auch wenn wir das nie so erfüllen können. Aber ein wenig von ihrer Inspiration aufzunehmen und weiterzutragen, das sollten wir doch versuchen!

Benjamin Hembus


Uta Schmidt
(31.10.1965 – 14.11.2023)

Vor einer Woche ist Uta gestorben, mein bester Freund und die Liebe meines Lebens. Es war kein leichter Tod, denn er kam nicht mit offenem Visier, sondern schlich sich hinterrücks an, wie ein Dieb in der Nacht.

Vor dreißig Jahren, ich war noch Filmstudent, sah ich Uta zum ersten Mal in den Fluren der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Die Tür zu einem Schneideraum war offen und ich blickte hinein. Da stand sie jung, schmal und in schweren Stiefeln am Steenbeck-Schneidetisch, sah von der Seite auf, kam mit ihrem typisch schlenkernden Schritt und etwas geduckt in einem unnötigen Bogen auf mich zu, weil sie mich mit meinem Kommilitonen Christian Petzold verwechselte, als ich sagte, dass ich der Chris bin. Sie meinte dann, das sei doch nicht so schlimm.
Selbst damals war sie schon positiv, ein Modewort für Leute, die man mochte. Ich bin eigentlich mein ganzes Leben lang eher negativ gewesen, was sie nicht abschreckte, solange ich sie zum Lachen brachte.

In meinem ersten Liebesbrief hatte ich sie als Apachin angesprochen, da sie so behutsame Füße hatte und so wildes Haar und wache, scheue Augen, die zwar kurzsichtig waren, aber alles um sich herum anzünden konnten mit dieser sanft glühenden Freude am Leben, an der Kunst und am Gegenüber, das sie prinzipiell und bis zum Nachweis des Gegenteils für sturzvernünftig hielt. Sie grübelte gern, fand Nachdenken am schönsten, wenn es gemeinsam geschah, und redete niemals Unsinn. Edle Einfalt hat sie daher nicht ausgezeichnet, aber sehr wohl stille Größe. Obwohl sie eine haltungsstarke, in ihrer fichtennadelstummen inneren Ruhe äußerst wirksame Zauberin war, wollte sie mit ihrer Persönlichkeit niemals große Räume füllen. Räume konnten ihr gar nicht klein genug sein, nicht weil sie Enge, sondern weil sie Nähe suchte, gerade auch in ihrem Beruf. Sie mochte Menschen, und Menschen, mit denen sie die gebrechliche Einrichtung der Welt etwas aufmöbeln konnte, mochte sie doppelt. Bei Gewitter war sie die Höhle, in die man flüchtete. Und bei Sonne war sie die Sonne.

Dass Uta für einige Jahre als eine der besten Filmeditorinnen des Landes galt, fand sie übertrieben. Es strapazierte auch ihr Bedürfnis nach Bescheidenheit. Sie war eine für das Zweifeln hochbegabte Mahnerin, eine Grundvoraussetzung ihrer Profession, die ja die Entscheidungen des Drehbuchs und der Regie kritisch zu hinterfragen und auch zu korrigieren hat. Sie konnte auf so wundervolle und zärtliche Weise kritisch sein, ich liebte und erlitt ihre melodiöse Kritik und konnte sie wohl deshalb so unbeschadet ertragen, weil Uta zu niemandem kritischer war als zu sich selbst. Die Kunst der Auslassung beherrschte sie wie kaum jemand anderes, ließ sich aber auch gerne ein. Auf neue Ideen, andere Vorstellungen, auf Mut und auf britischen Humor, der ihr am besten stand. Am Schnitt mochte sie das Ozeanische der Möglichkeiten. Und sie sah immer Land.
Sie liebte und unterstützte rückhaltlos ihre Regisseure und Regisseurinnen und konnte ihnen ihre Egos und Schwächen verzeihen, weil sie diese zu Recht als die fürs Filmemachen notwendigen psychischen Defekte sah. Sie fand an Menschen und auch an Filmen nichts unheimlicher als Perfektion. Glätte war ihr suspekt. Mit Produzenten hatte sie daher manchmal Schwierigkeiten. Echte Reserve brachte sie häufig TV-Redakteurinnen entgegen, weil ihrer Meinung nach Macht, oder auch nur das Bewusstsein von Macht, im kreativen Prozess oft nur Sand im Getriebe ist. Als politischer Mensch hat sie sich für Verbandsarbeit engagiert, für die Interessen ihres Berufsstandes eingesetzt. Sie war an der Deutschen Filmakademie einige Jahre im Vorstand aktiv, obwohl sie an den Niederungen der Gremienarbeit litt. Aber selbst dort behielt sie ihr schönes Lachen, ihre Geduld, ihre unendliche Freundlichkeit und einen Grundoptimismus, der manche Sinnlosigkeit mit Hoffnung unterfütterte.

Als Editorin war sie erfolgreich und wir hatten das große Glück, uns in all den Jahrzehnten unseres Zusammenlebens auch im Künstlerischen blind und sogar taub zu verstehen. Uta erhielt für ihre „meisterliche und musikalische Montage“ (Jurybegründung) in unserem Kinofilm „Vier Minuten“ 2007 den Deutschen Kamerapreis in der Kategorie Schnitt, der ihr zwei Jahre später für unsere Bella-Block-Folge „Reise nach China“ erneut verliehen wurde. Für „Vier Minuten“ wurde sie außerdem für den Deutschen Filmpreis nominiert, erhielt eine Nominierung für den Preis der Deutschen Filmkritik (für „Poll“) und wurde insgesamt dreimal für den Deutschen Schnittpreis Edimotion nominiert.
All das hat sie gefreut, war ihr aber im Grunde auch gleichgültig, da sie den Wert eines Lebens nicht nach der Anerkennung anderer bemaß. Jetzt, wo sie gegangen ist, wirken diese Auszeichnungen wie Tand, obwohl sie doch eine geglückte Existenz suggerieren.
Wichtig waren ihr aber nur die Kinder, die sie in die Welt setzte, die Sehnsüchte, die sie trieben und die unerschütterliche Gewissheit, dass das Universum nicht so kalt und erbarmungslos sein kann, dass nicht doch noch irgendwo ein kleines, gut geheiztes Raumschiff um die Ecke biegt, um damit in unendliche Weiten zu fliegen. Dieses Raumschiff wünsche ich Dir, meine Liebste, und auch einen wohltemperierten Stern, auf dem Du landen und bei einem guten Kaffee auf mich warten kannst. Here‘s looking at you, kid.

Chris Kraus