Abschied von Michael Verhoeven

Unser Gründungs- und Ehrenmitglied Michael Verhoeven ist am 22. April nach schwerer Krankheit im Alter von 85 Jahren verstorben.
Ein großer Verlust für die Deutsche Filmakademie und den deutschen Film. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, bei Senta Berger, Simon und Luca Verhoeven.
Simon Verhoeven und Alfred Holighaus nehmen hier mit persönlichen Worten Abschied.


Simon Verhoeven

Mein Vater war nicht nur ein brillianter und mutiger Filmemacher, sondern vor allem der liebevollste, wunderbarste und lustigste Papa, den sich ein Kind nur wünschen konnte.
Er war unser Held, ohne jemals ein Held sein zu wollen.
Meine Mutter und er sind über 60 Jahre lang ihren Weg gemeinsam gegangen. Er war ihr ganzes Glück und sie seins. Die Menschlichkeit, Neugier und charmante Liebenswürdigkeit, mit der mein Vater allen Menschen begegnete, egal wer sie waren, war einzigartig und wird all denen, die ihn kannten, unvergesslich bleiben.
Wir lieben Dich, Papa. Du wirst immer unsere Welt sein.


Alfred Holighaus

In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli des Jahres 1970 steht Michael Verhoeven vor der Tür eines Lokals in der Marburger Straße seiner Geburtsstadt Berlin und wundert sich. Er möchte nach der Premiere seines Films „OK“ im Wettbewerb der Berlinale mit dem Team noch feiern. Aber Michael und seine Begleiter:innen dürfen das Lokal nicht betreten. „Sie nicht!“, lautet die knappe und apodiktische Ansage des Türstehers, die aber auch eine rätselhafte ist.

Die Erklärung der Situation bringt das Ausmaß, die Ungeheuerlichkeit und die Banalität der Geschichte des ersten und tiefgreifendsten Skandals der Internationalen Filmfestspiele Berlin auf den Punkt: Das Lokal gehörte einem Berliner Filmproduzenten, Mitglied der Jury und Mitläufer der dort majoritären Meinung, der Film befeuere antiamerikanische Ressentiments. „OK“, Michael Verhoevens dritter Spielfilm, verlegt die Geschichte eines US-amerikanischen Kriegsverbrechens in den bayrischen Wald und verfremdet somit eine wahre Geschichte, der ihr so einen universellen Charakter verleiht. Michael Verhoevens Kunst hat einem System wehgetan, das sich irrtümlich für unempfindlich für Schmerz hielt.

Die Berlinale vergab in diesem Jahr keine Preise -und war danach bekanntlich eine andere.

Michael Verhoeven, der übrigens ein Jahr zuvor zum Doktor der Medizin promoviert hatte, blieb derselbe. Er war der Spross einer Schauspielerfamilie, durch die er schon mit Fünfzehn als Darsteller in Klassikern wie „Das fliegende Klassenzimmer“ (Regie: Kurt Hoffmann) reüssierte. Und er wurde selbstverständlich oder, weil er selbst seinen Verstand am besten verstand, zum kreativen Freigeist des deutschen Kinos, der die Sexfilmchen der späten Sechziger aufs Korn nahm („Engelchen macht weiter“) oder die gesellschaftskritischen Filme der Siebziger ernst („Gefundenes Fressen“). Alle kennen „Die weiße Rose“ von 1980, und genauso viele lieben „Das schreckliche Mädchen“, in dem er knapp zehn Jahre später die Geschichte einer jungen Frau aus der bayrischen Provinz erzählt, die sich offensiv und zum Ärger ihrer Mitbürger:innen mit den politischen Verbrechen innerhalb der kommunalen Konventionen ihres Ortes auseinandersetzt. Der Film erhält eine Nominierung als bester nichtenglischsprachiger Film bei den Oscars.

Zu diesem Zeitpunkt war Michael Verhoeven bereits 24 Jahre mit Senta Berger verheiratet. Ein Jahr zuvor gründeten die beiden ihre Produktionsfirma Sentana Film Produktion, die noch heute als Familienunternehmen aktiv und erfolgreich ist. Und auch die Gründung der Deutschen Filmakademie im Herbst 2003 unterstützten sie gemeinsam. Senta sogar als Präsidentin.

Wer das Glück der beiden als Paar und als Eltern der Söhne Simon und Luca Verhoeven miterlebt hat – und man konnte das buchstäblich erleben, weil die Familie als Glücksfall angenehm präsent und spürbar war -, kann erahnen, wie schwer der Verlust des Menschen ist, den man so sehr als Liebenden und Geliebten kennt.

Die Branche und das Publikum kennen Michael Verhoeven als kreative Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Und auch das muss man bei ihm wörtlich nehmen. Er ist Geschichte, Filmgeschichte. Und ein Kind seiner Zeit, seiner Zeiten. Er steht als junger Schauspieler für Beispiele des nicht ganz so unbekümmerten Films der Väter („Marianne“, „Der Jugendrichter“, „Ich kann nicht länger schweigen“). Er bewegte sich als Regisseur in den sechziger Jahren zwischen Schwabinger Boheme und den Schwabinger Krawallen. Er hatte keine Berührungsängste vor dem Fernsehen, schrieb sogar Fernsehgeschichte mit der großartigen Serie „Die schnelle Gerdi“ (natürlich mit Senta Berger!). Und er hat nie aufgehört, sich mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Zuletzt mit den überraschenden Dokumentarfilmen „Der unbekannte Soldat“ und „Menschliches Versagen“.

Wenn Michael Verhoeven im Raum war, war er nicht nur anwesend, sondern präsent. Ignoranz und Dummheit hatten neben ihm keinen Platz. Ich persönlich habe immer eine freundliche Autorität verspürt: Klugheit, Klarheit , Kompetenz. Der Beste aus zwei Welten. Der Berliner in Bayern. Disziplin und Lebensfreude. Für Michael Verhoeven bleibt keine Tür mehr versperrt. Leider auch nicht die zum Himmel. Zumal nach einer schweren Krankheit.

Aber der Zugang zu den Herzen und zum Verstand seiner Liebsten, seiner Kolleg:innen und seines Publikums steht viel weiter offen!