Die Deutsche Filmakademie trauert um Thomas Plenert

Ein Nachruf von Annekatrin Hendel

Scheiden tut weh.

Christine (37) hämmert in der Brikett-Fabrik den Staub aus riesigen Rohren. Thomas Plenerts Kamera begleitet sie bei der täglichen Knochenarbeit mit größter Selbstverständlichkeit und Ruhe bis unter die dampfende Dusche, wo sie sich mit ihren ebenso splitterfasernackten Kolleginnen nicht nur den Ruß abzuschrubben scheint. Diese Bilder in gotischem ORWO-Schwarz/weiß des Kinodokumentarfilmes „Winter Adé“ (Regie: Helke Misselwitz) haben mich Ende der 80er infiziert.

Wie hast Du das hinbekommen, Thomas? Diese ungenierte, lässige Vertrautheit, diese Unbefangenheit vor Deiner Kamera? Die von Dir aufgenommenen Figuren, die Landschaften, Bewegungen, Räume werden alle die Zeit überdauern. Diese Sicht auf scheinbar Triviales, das zur Hauptsache werden kann – einzigartig im deutschen Film.

Weil mir die Arbeit der Bildgestalter:innen oft zu kurz kommt, habe ich Dich 2019 in einem „Zeitzeugengespräch“ für die DEFA-Stiftung über Deine künstlerische Entwicklung ausgefragt:
„… ich greife Situationen immer mit den Augen ab, will ein Gefühl für den Alltag entwickeln. Das mache ich auch, wenn ich keine Kamera in den Händen halte.“

Geboren 1951 in Nauen, hast Du Kamera in Babelsberg studiert und bist dann als Austauschstudent an die Film-und Theaterhochschule Łódź gegangen. Du konntest seit Ende der 1970er Jahre gleich mit renommierten Regisseuren wie Rainer Ackermann und Jürgen Böttcher arbeiten. Es entstehen Klassiker wie „Rangierer“ (1984), „Die Mauer“ u.v.a.
Mit Volker Koepp hast Du viele herausragende und preisgekrönte Dokumentarfilmklassiker geschaffen: „Die Wismut“, „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“, „Kalte Heimat“ und, und, und… – insgesamt wohl 77 Dokumentarfilme (u.a. auch mit Gerd Kroske, Lutz Dammbeck, Werner Schröter, Hubertus Siegert, Sybille Schönemann, …)

Du hast zwischendurch auch fast 35 Spielfilme gedreht. Schon der erste war ein Meilenstein: „Die Beunruhigung“ (1982) von Lothar Warnecke (weitere u.a. mit den Regisseuren Jörg Foth, Michael Knof, Frank Beyer, Peter Kahane, Thomas Jacob, Karsten Laske, Jan Schütte, Susanna Salonen, Bernd Böhlich u.a.).

„Ich habe mich immer mit Arbeit vollgepackt, damit mir niemand irgendwas andrehen kann, dass ich nicht machen will.“

Kennengelernt habe ich Dich 2013, als ich meinen zweiten Kinofilm „Anderson“ vorbereitete. Ich hatte gehört, dass es einen Menschen gibt, der schon im Osten während der gemeinsamen Zeit an der Filmhochschule Babelsberg geahnt hatte, dass Sascha Anderson nicht nur der Papst des Literatur-Untergrundes der DDR war, sondern auch gleichzeitig Informant der Stasi gewesen sein muss. Und das warst Du. Und so lotste ich Dich kritischen Geist, mit Sinn für die Ambivalenzen des Lebens, erstmal VOR unsere Kamera.

Von einigen DEFA-Leuten, die ich von früher kannte, hatte ich mir in meiner Anfangszeit als Autodidaktin und Spätstarterin, die im Osten nicht studieren durfte, vergeblich Beistand erhofft. Ich war überrascht, dass ausgerechnet Du mich dann irgendwann angesprochen hast. Bei „Familie Brasch“ durfte ich dann das erste Mal mit Dir zusammenarbeiten. Magisch und unvergesslich die filmische Begegnung in der Näh-Werkstatt mit Schauspielerin Ursula Andermatt. Deine Kamera auch hier spektakulär unspektakulär, wahrhaftig, schlicht.

Zuletzt bin ich auf Dich, wie immer lebhaften Erzähler, vor gut zwei Monaten bei einem ausgiebigen Frühstück im Hotel beim Filmfest Schwerin getroffen. Du hast von Deinen Bienen und von einem neuen Spielfilmprojekt geschwärmt. Deine letzte Kamera-Arbeit „Die Frau des Dichters“ (2022, Regie: Helke Misselwitz) hatte ich noch nicht gesehen. Gudrun Steinbrück Plenert, die fantastische Editorin und Deine Frau (die auch unzählige Deiner Kameraarbeiten geschnitten hat) kam hinzu. Wir haben zusammen gelacht und ich dachte: alles wie immer. Schön.

Thomas, Dir konnte man häufig auf vielen Veranstaltungen der Filmakademie begegnen. Du warst mehrfach engagiert in der Vorauswahlkommission zum Deutschen Filmpreis, in der Jury für den Ehrenpreis warst Du auch. Dir hätte diese Jury den Preis längst verpassen müssen. Was für ein Lebenswerk!

An diesem Sonnabend, den 15. Juli 2023 bist Du nach kurzer, schwerer Krankheit gegangen. Wir können es nicht fassen.

In großer Anteilnahme an Deine Familie,
Thomas, Adé!