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Die Deutsche Filmakademie trauert um Hartmut Becker. Ein Nachruf von Alfred Holighaus

Alfred Holighaus im Gedenken an Hartmut Becker:

Man kann nicht an Hartmut Becker denken, ohne an „o.k.“ zu denken. An den Film von Michael Verhoeven, der 1970 dafür sorgte, dass sich die Berlinale neu sortieren musste. Auch Hartmut Becker dachte gerne und oft an „o.k.“. Nicht nur, weil dieser Film, der den Vietnam-Krieg in großer künstlerischer Freiheit klug und mit starker Wirkung in einen bayerischen Wald verlegte, zu einem (film)historischen Skandal und einer programmatischen Reform führte, sondern auch, weil „o.k.“ ein besonders guter Film ist. Ein Film, in dem Hartmut Becker den Private Ralph Clarke spielt, der zu der Gruppe von US-Soldaten gehörte, die im echten Vietnam die junge Phan Ti Mao brutal vergewaltigt haben. Verhoeven brachte das Kunststück einer realistischen Allegorie auf die Leinwand und den damaligen Jury-Präsidenten George Stevens auf die Palme.

2020, auf der letzten Berlinale vor dem ersten Lockdown, die gleichzeitig die 70. Berlinale überhaupt war, konnte Hartmut Becker diesen Film noch einmal mit Publikum sehen. Daran hat er zuletzt sicher gerne gedacht.

Becker und Verhoeven kehrten übrigens 1971 wieder in den Wettbewerb des Festivals zurück. Ihre Gesellschaftskomödie hieß „Wer im Glashaus liebt…“, zeigte den ausgesprochen gut aussehenden Hauptdarsteller als Frauenheld, hatte eine FSK-Altersfreigabe ab 18, war nicht feiertagsfrei und rief damit statt amerikanischer Rednecks die deutsche Sittenpolizei auf den Plan.

Beckers deutsche und internationale Karriere nahm ihren Lauf. Es folgten Theatererfolge, Kino- und Fernsehfilme mit Höhen und Tiefen. Er spielte in großen Produktionen wie Richard Attenboroughs „Die Brücke von Arnheim“ ebenso wie im italienischen Arthouse vor der Kamera von Lina Wertmüller. Und immer wieder für Michael Verhoeven (z.B. „MitGift“ 1975).

Er war als Theater- und Drehbuchautor so aktiv wie kreativ. Er spielte auf den Bühnen von Bielefeld und Berlin, von München und Braunschweig. Er setzte seine lässige Attraktivität und Intellektualität in unterschiedlichsten TV-Produktionen ebenso ein wie in besonderen Kinofilmen. Es war schön, ihn in Ulrich Köhlers „Montags kommen die Fenster“ (2004) beim „präzisen Vermessen dieser scheinbaren Banalität“ (wie es in einer Kritik hieß) zuzuschauen. Und auch sein letzter Kino-Auftritt im „Liebesfilm“ von Emma Rosa Simon und Robert Bohrer, der auf den Festivals von München (2018) und Saarbrücken (2019) Erfolge feierte, bleibt in Erinnerung.
Der Berliner Feuilletonist Peter von Becker hat in seinem liebevollen „Tagesspiegel“-Nachruf auf die Aktualität einer besonderen Rolle von Hartmut Becker aufmerksam gemacht: „Wunderbar war 2015 sein Auftritt als höllisch machiavellistischer Kardinal in Gerd Schneiders Verfehlung, dem bisher besten Spielfilm zum aktuellen Thema Kirche und Missbrauch“.

Hartmut Becker hat von 2007 bis 2012 die Schauspieler:innen im Vorstand der Deutschen Filmakademie vertreten. Er hat die Herausforderungen der Gründerjahre ebenso mit- und angenommen wie den personellen und programmatischen Wandel anfangs der Zehner Jahre. Dabei gingen von seiner eigenwilligen Mischung aus Ambition und Gelassenheit stets besondere Impulse aus. Hartmut schien manchmal für einen Moment von gestern zu sein und brachte gleichzeitig genau damit Licht ins heute. Er hat die Filmakademie verstanden. Und die Filmakademie vermisst Hartmut Becker. Er starb am 22. Januar 2022 im Alter von 83 Jahren. Wir trauern um ihn.