Diversity Kolumne #1: Rassismus, Strukturen & Verantwortung
Ab sofort wird es an dieser Stelle eine monatliche Diversity Kolumne geben. Hiermit möchten wir die verschiedenen Schritte und Themenbereiche, die die „Diversity“ Arbeitsgruppe der Deutschen Filmakademie durchläuft, sichtbar machen. Wir wollen auf aktuelle Debatten in unserer Branche eingehen und deren Hintergründe beleuchten. Und das alles in seiner Komplexität dennoch knapp und verständlich. Natasha Kelly, Prozessbegleiterin unserer Arbeitsgruppe, widmet sich in ihrem ersten Beitrag der strukturellen Verankerung und Sozialisation von Rassismus. Zukünftig werden wir auch weitere Gastautor·innen einladen dieses Format zu nutzen, um uns den verschiedenen Diskriminierungsformen und Themenbereichen der Arbeitsgruppe zu widmen.
Rassismus, Strukturen & Verantwortung
Ein Gastbeitrag von Natasha A. Kelly
Seit dem Sommer 2020 überschlagen sich die Ereignisse. Die #Blacklivesmatter Bewegung hat zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands den Rassismus gegen Schwarze Menschen sprechbar gemacht. Aber wie wir nun wissen, gibt es unterschiedliche Formen von Rassismus, die sich je nach der betroffenen Gruppe und dem historischen Verlauf unterscheiden. Als spezifische Form der Diskriminierung gibt es keinen Rassismus gegen weiße Menschen, wenngleich weiße Personen von anderen Diskriminierungsformen betroffen sein können. Wichtiger noch: es gibt keine Patentlösung gegen jedwede Form der Diskriminierung, weshalb es wichtig ist, genau hinzuschauen, womit wir es jeweils zu tun haben.
Wenn wir den Rassismus gegen Schwarze Menschen unter die Lupe nehmen, dann wird ersichtlich, dass es sich um ein strukturelles Phänomen handelt, welches sich durch alle Ebenen der Gesellschaft zieht, sei es Wissenschaft, Forschung, Bildung oder Politik. Auch die Medien reproduzieren in Film oder Fernsehen, in Talkshows oder Satire-Formaten den Rassismus und verstärken damit die rassistischen Strukturen der Gesellschaft – oft unbewusst – was die Wirkung nicht mindert. @erklärmirmal hat bei Instagram ein treffendes Beispiel aufgezeigt: Wenn ich Dir ausversehen auf den Fuß trete, dann ist es selten pure Absicht, wehtun tut es trotzdem. Wie selbstverständlich entschuldige ich mich, und übernehme für meinen Fehltritt die Verantwortung.
Im Kontext von Rassismus ist dies nicht anders. In vielen Fällen kann nicht von intendiertem Handeln gesprochen werden. Da wir aber in einer Gesellschaft sozialisiert worden sind, in der rassistische Machtstrukturen unsere Sprach- und Sehgewohnheiten bestimmen, kommen rassistische „Fehltritte“ häufiger vor als uns lieb ist. „Das habe ich nicht so gemeint“ ist eine häufige Reaktion auf rassistische Worte, Fremdbezeichnungen, die für die Betroffenen in Hülle und Fülle bereitliegen. Uns ist häufig nicht bewusst wie gewaltvoll sie sind. Doch Sprache ist aufgeladen. Mit ihr kann Macht gefestigt und Gewalt ausgeübt werden. Demnach ist es erforderlich, das eigene Handeln zu überprüfen und auf der individuellen Ebene in die Verantwortung zu gehen.
Darüber hinaus blenden wir häufig aus, dass Worte nicht einfach so da waren. Sie alle haben eine Geschichte und sie schreiben Geschichte. Meist aus der Kolonialzeit in die Gegenwart tradiert, reflektieren wir unsere Sprachhandlungen viel zu selten: „Das habe ich immer schon so gesagt“, ist eine weitere Reaktion, die bekannt ist. Und das stimmt leider auch. Denn insgesamt hat Deutschland es versäumt, seine koloniale Vergangenheit und damit einhergehend koloniale Sprache adäquat aufzuarbeiten. Doch Rassismus ist eine Ideologie, die überhaupt erst den Kolonialismus begünstigt und seine Macht- und Herrschaftssysteme legitimiert hat. Diese hatten nicht nur Einfluss auf die kolonialisierten Territorien, sondern prägten auch unsere innerdeutschen Erkenntnis- und Repräsentationssysteme, wie eben Sprache und Bilder, aber auch unsere Denkmuster, aus der Stereotype erwachsen sind.
Und damit sind wir wieder bei der Frage der Verantwortung angekommen. Die historische Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus, sowie eine antirassistische Aufklärung können nicht ausschließlich Einzelpersonen überlassen werden. Denn die Ursache des strukturellen Rassismus liegt nicht auf der individuellen, sondern auf der strukturellen Ebene. Wenn ich zum Zahnarzt gehe, zum Beispiel, und er mir ein Zahn zieht, dann sind damit nicht notwendigerweise meine Zahnschmerzen weg. Was es benötigt ist eine Wurzelbehandlung. Erst danach bin ich von meinen Schmerzen befreit. Und auch wenn der Rassismus betroffene Personen einen weitaus größeren Schmerz zufügt, kann er für die weiße Mehrheitsgesellschaft auch nicht gesund sein. Aus diesem Grund, braucht es eine „antirassistische Wurzelbehandlung“. Es reicht nicht von Einzelfällen zu sprechen oder eine·n Schuldige·n zu suchen. Wir müssen die Ursachen erforschen und sie bekämpfen. Nur so schaffen wir es, die Strukturen zu verändern.
In diesem Sinnen freue ich mich, dass sich die Filmakademie auf den Weg macht – nicht zum Zahnarzt, was für viele Menschen ein schwerer Gang ist, sondern auf die Reise in eine antirassistische und machtkritische Zukunft. Es ist mir eine Ehre euch dabei begleiten zu dürfen.
Eure
Natasha A. Kelly