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Wir gratulieren Alexander Kluge herzlich zum 90. Geburtstag

Die Deutsche Filmakademie gratuliert ihrem Ehrenmitglied Alexander Kluge zum 90. Geburtstag auf das Herzlichste. Unser Glückwunschtelegramm verfasst von Claudius Seidl:

Alexander Kluge wird neunzig Jahre alt – und jeder, der sich je mit ihm beschäftigt hat, mit dem Werk, das unüberschaubar ist, oder mit der Person, deren auffälligste unter vielen guten Eigenschaften eine unwiderstehliche Liebenswürdigkeit ist, wobei man das eine vom anderen hier ohnehin nicht trennen kann; wer sich also je beschäftigt hat mit Alexander Kluge, wird fragen: Ist das wirklich wahr? Und zwar nicht nur deshalb, weil man ihn womöglich für jünger gehalten hätte, wegen seiner Neugier, seines ungeheuren Tempos beim Denken und beim Reden. Sondern weil es sehr viele sehr gute Gründe gibt, ihn für älter zu halten, viel älter, fünfhundert Jahre, tausend Jahre wären nicht zu wenig, angesichts der Zeiträume, die er überblickt, angesichts all der vergangenen Geschichten und Ereignisse, von denen er erzählen und berichten kann, als wäre es selber dabeigewesen.

Alexander Kluge, der am 14. Februar 1932 geboren wurde und immer wieder auf seine Erinnerungen als Kind im bombardierten Halberstadt zurückkommt, dieser Alexander Kluge gibt sein eigenes Alter mit etwa vier Milliarden Jahren an, wobei er sein Publikum immer wieder darauf stößt, dass wir alle dieses Alter haben. Vor etwa vier Milliarden Jahren sei die Erde, die er, wenn die Erinnerung nicht trügt, unsere Gefährtin nennt, vor vier Milliarden Jahren sei die Erde entstanden. Und jeder von uns trage die Ablagerungen der Zeit, die seither vergangen ist, die Partikel der ganzen Natur- und Evolutionsgeschichte mit sich herum.

Und zugleich scheint dieser Alexander Kluge ein Besucher aus der Zukunft zu sein, ein Forschungsreisender, der aus einem fernen Jahrhundert zu uns zurückgereist ist, so wie wir, wenn wir eine Zeitmaschine hätten, vielleicht gerne zurückreisten ins antike Rom oder ins Florenz der Renaissance: um die Sitten zu studieren und uns dabei selber aber nicht einzumischen. Seine eigene Überlegenheit darf ein Zeitreisender nicht offenbaren und schon gar nicht ausspielen – aber manchmal sind Kluge dabei doch kleine Nachlässigkeiten unterlaufen. Seine Filme und Texte zum Beispiel waren schon voller Hyperlinks, lang bevor das Internet erfunden wurde.

Der große Peter Berling, der leider vor ein paar Jahren gestorben ist, hat einmal erzählt, wie er zum Film gekommen ist: Enno Patalas, der Filmhistoriker, habe davon gesprochen, dass dieser Schwabinger Rechtsanwalt unbedingt einen Film drehen wolle und irgendjemanden brauche, der das organisiere. So erfand Alexaner Kluge den Filmproduzenten Berling; und viel später saßen die beiden einander in Kluges Sendung gegenüber, und weil Kluge ihm die Rollen zum Beispiel eines Bischofs im Barock oder eines Kaufmanns in der Renaissance zugewiesen hatte, ließ Berling sich als genau so jemand interviewen. Man lernte viel beim Zuschauen.

Der Rechtsanwalt aus Schwabing, der Jurist also, das ist Alexander Kluge auch als Künstler immer geblieben: Wenn er Texte schrieb, Filme inszenierte, seine wunderbaren und wundersamen Fernsehshows produzierte, dann ging es im Grund immer nur um die Wahrheitsfindung. Und der ungeheure ästhetische Reiz liegt darin, dass diese Wahrheitsfindung niemals zu Ende ist, weil sich Alexander Kluge von niemandem dazu zwingen lässt, ein Urteil zu sprechen. Das Urteil wäre ja das Ende der Kunst – und insofern machte sich auch der Kritiker lächerlich, der Alexander Kluges Werk abschließend bewerten wollte.

Das Gegenteil ist das einzig Richtige: Dieses Werk muss weiter befragt werden.

Alles Gute, lieber Alexander Kluge!

– Claudius Seidl