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Good Bye, Wolfgang! Die Filmakademie trauert um Wolfgang Becker

Am 12. Dezember verstarb der Regisseur Wolfgang Becker. Filmakademie-Gründungsmitglied und Filmpreis-Gewinner, Inspiration, kreativer Partner, Kollege, Filmgeschichte… Wolfgang Becker hat die Filmakademie und ihre Mitglieder geprägt. Ein Nachruf von Alfred Holighaus


Good Bye, Wolfgang!

„Ich geh dann mal schlafen“. Wenn eine Mail von Wolfgang Becker mit diesen Worten endete, wurde sie nicht selten zwischen sechs und sieben Uhr früh geschrieben. Wolfgang war getrieben – von Geschichten und sicher auch von den Läufen der Zeit. Vor allem aber war er hellwach. Dass seine gesamte Filmografie an nahezu einer Hand abzulesen war, widerspricht dem nicht. Wolfgang war immer beschäftigt. Er hatte zu tun. Und um seine Filme hat er sich besonders und somit auch besonders lang gekümmert. Egal in welcher Phase. Ich habe noch mitbekommen, wie er allen Ernstes wenige Wochen vor der Weltpremiere von „Good Bye, Lenin!“ auf der Berlinale 2003 noch über den Nachdreh der zentralen Szene des Films nachdachte. Weil er mit der Animation des Fluges der Lenin-Statue durch den Himmel über Berlin nicht wirklich glücklich war, erinnerte er sich an den echten Abtransport des Monuments in 129 Teilen auf dem Anhänger eines LKWs von Friedrichshain in ein Waldstück von Köpenick (das es erst 2016 Richtung Spandau verließ). Aber weil buchstäblich alle Welt den Film gesehen hat, weiß jede/r, dass es nicht zu diesem Nachdreh kam.

Jedoch der Reihe nach: Als ich Wolfgang Becker vor ziemlich genau 36 Jahren zum ersten Mal traf, war er natürlich schlecht gelaunt. Und obwohl er zu diesem Zeitpunkt für „Schmetterlinge“, seinen sensationellen Abschlussfilm an der dffb, schon einige hochkarätige Preise gewonnen hatte (zuletzt sogar den Studenten-Oscar der AMPAS), hatte er allen Grund dazu: Die stimmungsvolle und berührende Verfilmung einer frühen Kurzgeschichte von Ian McEwan fand keinen Verleih und wurde am Ende von Wolfgang mit Unterstützung der Filmhochschule selbst in die Kinos gebracht. Wolfgang haderte mit der Branche, der er so viele Impulse versetzte, die sie (typisch) versehentlich selbst für Stiche hielt. Er schenkte dem „Tatort“ mit der Berliner Episode „Blutwurstwalzer“ im Jahr 1991 eine ihrer intensivsten und erfolgreichsten Beiträge und scherte sich nicht um die formatkonforme Länge von 88einhalb Minuten. Er brauchte für seine Story um einen deutschen Fremdenlegionär 117 Minuten – und bekam sie damals auch. Direkt danach entstand das beklemmende Drama um den Jungen Micha, dessen titelgebende „Kinderspiele“ keinen Spaß vertrugen.

Als Gründungsmitglied des X Filme Creative Pool – zusammen mit dem Produzenten Stefan Arndt und den Regie-Kollegen Tom Tykwer und Dani Levy – hat Wolfgang 1994 noch mal ganz bewusst eine neue Verantwortung gegenüber der Branche, vor allem aber gegenüber der Kunst, die er so liebte und auf die er sich so gut verstand, übernommen. Als Unterstützer und Unterstützter – und als erfolgreicher Lehrer an seiner Alma mater und der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Nicht auszudenken, was wir alles über Berlin und unsere Welt nicht wüssten, wenn Wolfgang Becker mit „Das Leben ist eine Baustelle“ 1997 nicht einen der klügsten, tiefsinnigsten und empathischsten Filme über die Zeit nach der politischen Wende in Deutschland geschaffen hätte. Dass es in diesem Film auch viel zu lachen gab – wie beispielsweise die einzigartige Rezeption im Wettbewerb der Berlinale desselben Jahres zeigte – machte außerdem deutlich, dass Wolfgang schlechte Laune bei anderen nicht unbedingt aufkommen lassen wollte. Was sich schließlich sechs Jahre später in seinem Welterfolg „Good Bye, Lenin!“ endgültig manifestieren sollte. Für die „Times“ war das der „witzigste Film aus Deutschland seit einem Jahrhundert“.

Für Wolfgang, dem role model für gemischte Gefühle und differenziertes Denken, war die Erfolgsgeschichte naturgemäß auch eine Geschichte der nicht abzusehenden Folgen auf seine künstlerische Identität und Zukunft. In dem aus unserer oben beschrieben Begegnung entstanden Artikel ließ ich mich zu der Prognose hinreißen, dass sich Wolfgang Becker von Filmpreisen niemals würde entmutigen lassen. Für „Good Bye, Lenin!“ gab es neben vielen internationalen Auszeichnungen allein neun Lolas (damals, im Gründungsjahr der Deutschen Filmakademie, noch vergeben von einer Jury). Es hat zehn Jahre gedauert bis zum nächsten Kinofilm: „Ich und Kaminski“ nach Daniel Kehlmann. Eine Satire auf den Kunstbetrieb, der für Wolfgang in welcher Form auch immer eine Herausforderung blieb.

Nicht herausfordern lassen wollte sich dieser unverwüstlich wirkende Sensibilist von seiner todbringenden Krankheit, der er mit dem stärksten Mittel begegnete, über das er verfügte: sein künstlerisches und handwerkliches Können. Deshalb konnte kaum ein Zweifel bestehen, dass er die Dreharbeiten zu seinem letzten Film noch zu Ende bringen würde. „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ nach dem Roman von Maxim Leo und einem Drehbuch von Wolfgang und von Constantin Lieb ist im Kasten.

Wolfgang verließ uns am 12. Dezember; ging dann mal schlafen. „Good Bye, Wolfgang! Du einzigartiger Freund und Weggefährte. Deine Liebe, Kraft und Kreativität wird uns unendlich fehlen“, sagen Stefan Arndt, Tom Tykwer und Dani Levy zum Abschied.

Die Kolleginnen und Kollegen aus und außerhalb der Filmakademie erinnern sich gut und gerne an Wolfgang Becker – und vermissen ihn.

Wir denken auch und mit Schmerz und Mitgefühl an seine Frau Susanne und seine Tochter Rike.

Nochmal: Good Bye, Wolfgang!

Vorauswahlkommission zum Deutschen Filmpreis 2022 · © Florian Liedel